Wenn das Gericht urteilt, verlieren meist beide Seiten – warum kluge Führungskräfte früher eingreifen
- Siegbert Weissbrodt

- vor 23 Stunden
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Wenn ein Gericht urteilt, gibt es formal einen Gewinner.Unternehmerisch betrachtet verlieren jedoch meist beide Seiten.
Denn auch das „gewonnene“ Urteil hat seinen Preis: Monate oder Jahre gebundene Managementzeit, hohe Kosten, öffentliche Auseinandersetzungen – und beschädigte Beziehungen, die sich nicht einfach reparieren lassen. Gerichte entscheiden Rechtslagen. Sie lösen jedoch keine Konflikte im sozialen oder organisationalen Sinne. Die Nachwirkungen spüren Unternehmen oft lange: im Teamklima, in der Führungskultur, in der Arbeitgebermarke. Genau hier beginnt die Verantwortung von HR. Nicht erst, wenn der Schriftsatz geschrieben ist, sondern deutlich früher. Wer Konflikte unternehmerisch denkt, sucht nicht primär nach dem besten Urteil, sondern nach der tragfähigsten Lösung. Eine Option, die diesem Anspruch gerecht wird – und dennoch erstaunlich selten genutzt wird –, ist das Güterichterverfahren.
Worum es geht – in einem Satz
Ein Güterichter bzw. gerichtlich bestellter Mediator moderiert vertrauliche Gespräche zwischen den Parteien, arbeitet die dahinterliegenden Interessen heraus und begleitet sie zu einer gemeinsamen Einigung, die anschließend als gerichtlicher Vergleich protokolliert und damit vollstreckbar werden kann.
Kein Urteil, kein Gesichtsverlust – aber volle rechtliche Verbindlichkeit.
Warum das Güterichterverfahren für HR besonders wertvoll ist
Zeit und Kosten: Ressourcen schützen, statt sie zu verbrennen
Arbeits- und zivilrechtliche Verfahren ziehen sich nicht selten über ein Jahr oder länger. Güterichterverfahren sind bewusst auf Effizienz ausgelegt. Häufig reichen ein bis zwei Termine, um tragfähige Lösungen zu entwickeln.
Beweisaufnahmen, lange Schriftsatzfolgen und Gutachten entfallen. Für Unternehmen bedeutet das: geringere direkte Kosten, weniger interne Belastung und schnellere operative Klarheit.
Vertraulichkeit statt öffentlicher Eskalation
Die Mediation findet unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Inhalte bleiben vertraulich, der spätere Prozessrichter erfährt nichts aus dem Güterichterverfahren.
Das senkt taktische Hürden und schafft Raum für Offenheit – gerade bei sensiblen Themen wie Vergütung, Boni, Fehlverhalten, internen Spannungen oder verletzten persönlichen Ebenen. Genau dort liegen oft die wirklichen Konflikttreiber.
Maßgeschneiderte Lösungen statt binärer Entscheidungen
Ein Urteil entscheidet richtig oder falsch. Ein Vergleich kann weiter denken.
Im Güterichterverfahren lassen sich Lösungen entwickeln, die über den juristischen Streitgegenstand hinausgehen: Zahlungsmodalitäten, Übergaberegelungen, Zeugnisse, Freistellungen, Outplacement, Kommunikationslinien, Schweigevereinbarungen oder Perspektiven für die zukünftige Zusammenarbeit.
Das reduziert Folgekonflikte, erhöht die Akzeptanz – und sorgt für einen stabileren Neustart im Alltag.
Rechtssicherheit ohne Urteil
Die erzielte Einigung kann als gerichtlicher Vergleich protokolliert werden und ist damit vollstreckbar. Unternehmen erhalten so die rechtliche Sicherheit eines Urteils – ohne dessen Nebenwirkungen. Mediation und Gerichtsbarkeit werden nicht gegeneinander ausgespielt, sondern sinnvoll verbunden.
Typische Einsatzfelder aus HR-Sicht
Trennungen und Abfindungen: Gestaltung der Beendigung inklusive Zeugnis, Freistellung, variabler Vergütung, Wettbewerbsverboten und IT-Übergaben.
Vergütung und Boni: Zielerreichung, Abgrenzung variabler Bestandteile, Stichtagsfragen, Rückforderungen.
Zusammenarbeit und Unternehmenskultur: Team- und Führungskonflikte, Mobbingvorwürfe, Rückkehrgespräche nach Eskalationen.
Einigungsfragen: Interessenausgleich, Arbeitszeitmodelle, Qualifizierungspfade – pragmatisch und prozessarm.
So läuft ein Güterichterverfahren typischerweise ab
Verweisung an den Güterichter: Mit Zustimmung der Parteien wird das Verfahren „auf Güte“ abgezweigt. Der reguläre Prozess ruht.
Vorgespräch und Spielregeln: Freiwilligkeit, Vertraulichkeit, Rollenverständnis, respektvoller Umgang und Zielbild werden geklärt.
Interessen herausarbeiten: Hinter juristischen Positionen stehen fast immer legitime Interessen – etwa Timing, Budget, Reputation oder Emotionen.
Optionen entwickeln: Kreative Lösungspakete statt „alles oder nichts“ – zu Zahlungen, Fristen, Kommunikation, Referenzen, IP-Fragen oder Arbeitsmitteln.
Vergleich protokollieren: Kommt es zur Einigung, wird sie als gerichtlicher Vergleich festgehalten. Scheitert sie, läuft das Verfahren ohne Nachteil regulär weiter.
Erfolgsfaktoren – worauf HR achten sollte
Sorgfältige Vorbereitung: Klare Interessen, Ziel- und Mindestkorridore, Alternativen (BATNA) sowie abgestimmte Freigaben mit Management und Betriebsrat.
Die richtigen Personen im Raum: Entscheidungsträger mit Mandat und Handlungsspielraum.
Faktenbasierte Verhandlungsfähigkeit: Verträge, Zielvereinbarungen, Leistungsnachweise und belastbare Zahlen griffbereit halten.
Einigungswillen signalisieren: „Wir wollen lösen, nicht siegen.“ Das wirkt strategisch – und psychologisch.
Rechtliche Flankierung: Anwälte als Ermöglicher für Machbarkeit, Risikoabschätzung und Formulierungen – nicht als Eskalationstreiber.
Klarer Kommunikationsplan: Wer erfährt wann was – intern wie extern.
Fazit
Gerichtsurteile schaffen Formalien, aber selten Frieden.Das Güterichter- bzw. Mediationsverfahren bietet HR eine unternehmerische Alternative: schnell, vertraulich, flexibel – und dennoch rechtlich verbindlich. Es schützt Beziehungen, schont Ressourcen und erzeugt Lösungen, die im Arbeitsalltag tatsächlich funktionieren.
Wer Konflikte nicht nur juristisch, sondern strategisch denkt, sollte dieses Instrument frühzeitig einsetzen – idealerweise bevor Fronten verhärten und Positionen zementiert sind. In der Praxis zeigt sich immer wieder: Selbst scheinbar festgefahrene Fälle lassen sich in überraschend kurzer Zeit lösen, wenn der Rahmen stimmt und der Wille zur Einigung vorhanden ist.






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